Margrits Kolumne

Margrits Kolumne: Taubenspieler

Das Brieftaubenwesen hat es im Mai 2021, also während der Corona-Zeit, geschafft, als neuer Eintrag in das „immaterielle Kulturerbe“ aufgenommen zu werden. Mit dem Weltkulturerbe werden „lange Traditionen“ gewürdigt, „Wissen und Praktiken im Umgang mit der Natur und dem Universum“ sollen für immer erhalten bleiben.

Die erste Bewerbung stieß auf so vehementen Widerspruch, dass sie abgelehnt wurde. Doch die Verfechter dieser „Sportart“, die Ende des vergangenen Jahrhunderts noch 90.000, jetzt aber nur noch 28.000 Züchter zählt, bewarben sich ein zweites Mal. Diesmal konnten sie anscheinend mit ihren Argumenten plausibel machen, dass ihr Wissen und ihre Praktiken im Umgang mit der Natur – gemeint ist die auf Schnelligkeit gezüchtete Brieftaube – wertvoll für das Universum ist.

Aber nun hat China die Taube als Wertanlage entdeckt, Europa wird leer gekauft. In Asien werden Hochleistungs-Tauben zu horrenden Preisen gehandelt. Die bisher teuerste Taube namens New Kim erbrachte 1,7 Millionen Euro, der „Gegenwindspezialist“ Armando ging für 1,25 Mio. Euro an einen unbekannten Bieter.

Wurden früher die Millionen in Immobilien, Autos oder Kunstwerken angelegt, wird jetzt in „das Rennpferd des Kleinen Mannes“ investiert. Besonders die belgischen Zuchttauben sind begehrt. Wie immer, wenn viel Geld im Spiel ist – in Peking heißen die Beteiligten „Taubenspieler“ – wird auch betrogen: Bei einer Homing Pigeon Race wurden die Langdistanztauben mit einem Hochgeschwindigkeitszug zum Ziel gebracht und waren somit Sieger. Doch der Betrug flog auf.

Ein Beispiel für die Dimensionen in China: Um die bis zu 10.000 angelieferten Jungtauben beringen zu können, müssen die erforderlichen Ringe für 1.000,- bis 1.500,- € pro Stück beim Pioneer Club Peking gekauft werden. Das ergibt ca. 20 Millionen € Einnahmen, die dann als Preisgelder ausgesetzt werden.

In China ein Millionenmagnet, in Deutschland als „Brieftaubenwesen“ immaterielles Kulturerbe – wo wird die Taube um ihrer selbst willen verehrt?

© Margrit Vollertsen-Diewerge Juni 2022